Wir sind alle Zauberer

Gestern bin ich über eine Internetseite gestolpert, die alle freien Berufe auflistet, die kein Gewerbe anmelden müssen. Und dort, unter einer langen Reihe von künstlerischen Tätigkeiten – Bildhauer, Grafiker, Schriftsteller, Werbetexter – stand das Wort: Zauberer.

 

Wie passend! Sind wir Künstler nicht alle auch Zauberer? Beziehungsweise: Wir sollten es sein. Denn manchmal fühlt sich die tägliche Arbeit am Roman überhaupt nicht „zauberhaft“ an. Wenn ich viel zu viel allein im Stillen Kämmerlein sitze und vergessen habe, wie sich die Stimmen anderer Erwachsenen eigentlich anhören (gut, bis auf die, die ich mir auf YouTube reinziehe). Wenn ich einen schwierigen Knoten im Plot lösen muss und man am Ende des Tages gar nicht sieht, wie anstrengend meine Arbeit war. Wenn ich wieder und wieder am gleichen Satz feile und die vielen Monate bis zur Veröffentlichung eines Romans warten muss.

 

Und dann wieder werde ich daran erinnert, wie sehr Magie mit dem Schreiben zu tun hat. Wenn die Augen der Lektorin leuchten, weil sie zwei, drei zauberhafte Details besonders liebt. Das sind die Details, die ich aus meiner Intuition heraus eingefügt habe. Die sich ganz natürlich einfügen und ohne die etwas, das ganz gewisse Etwas, fehlen würde. Sie sind keine Kniffe, sie sind keine Schreibtricks, sie sind nicht Handwerk. Aber gehören untrennbar dazu.

 

Bei einer Autorenkonferenz Ende September haben meine Kollegen und ich uns auch über interessante Rückmeldungen aus den Verlagen austauschen können. Und das fand ich beeindruckend: In den letzten Jahren werden die Manuskripte, die an Verlage geschickt werden, immer besser. Die Schreibenden beherrschen ihr Handwerk besser, haben gelernt, wie man einen Spannungsbogen aufbaut, wie man die Aktstruktur im Roman gut umsetzt. Nur die Magie – die fehlt. (Sagen die Lektoren.) Das gewisse, zauberhafte Etwas. Das man nicht lernen, manchmal nicht fassen kann. Und es ist immer dieses Quäntchen Magie, das eine Geschichte ausmacht – und das Ausschlag darüber gibt, ob ein Verlag eine Geschichte kauft, ob die Leser die Geschichte lieben.

 

Wie entsteht denn Magie, wenn ich die nicht in einer Romanwerkstatt lernen kann? Titus Müller, ein wunderbarer Autorenkollege (www.titusmueller.de, ich liebe nicht nur seine Romane, sondern auch seine Sachbücher über das Glück) schlägt vor, dass wir Schriftsteller wieder mehr Notizen sammeln, Ideen aufschreiben, diejenigen, die vordergründig erst einmal nichts mit einer aktuellen Geschichte, einem laufenden Projekt zu tun haben. Alltagsmagie sammeln. Gedanken festhalten. Es sind gerade diese anfangs unscheinbaren Notizen, die später doch in einer Geschichte das ganz besondere Etwas, den Ton, das Detail ausmachen.

 

Magie entsteht auch, wenn wir ihr dafür Raum und Stille geben. Eigentlich ist Magie immer da – jedes Mal, wenn ich im Wald spazieren gehe, wird mir das wieder sehr deutlich, bei jedem herbstfarbenen Blatt, bei jeder raschelnden Maus im Laub – wir müssen uns nur erlauben, sie wahrzunehmen. Und dafür müssen wir innehalten, uns mal aus dem Alltag ausklinken (und sei es nur für einen tiefen Atemzug), spielerisch etwas anders machen, eine Intention setzen. Magie kann auch nur dann entstehen, wenn wir nicht abgearbeitet, eng, ausgelaugt, gehetzt und überall, nur nicht in unserer Mitte sind. Mir selbst passiert das ganz leicht – ein paar Tage lang „dafür habe ich keine Zeit“, und schon fühle ich mich, naja, sagen wir, alles andere als zauberhaft.

 

Deswegen möchte ich dich daran erinnern. Vergiss nicht, dass wir alle Zauberer sind, auch wenn du in einer Berufeliste noch etwas anderes ankreuzen würdest. Sei gut zu dir, dann entsteht auch wieder Magie, bei allem, was du (er)schaffst. Füttere dich, deine Gedanken, deinen Körper mit guten Dingen und Geschichten. Lass dir Zeit und Raum, öffne dein Notizbuch, und schreibe, was auch immer sich seinen Weg bahnen will.

 

Hab einen zauberhaften Tag,

deine Judith

 

PS. Wenn du für deine ganz persönliche Magie eine kleine Starthilfe brauchst, dann kann ich dich mit meiner Intensivstunde „Transform your Text“ unterstützen!

 

PPS. Ein paar Bücher, die ich damals beim Lesen als sehr magisch empfunden habe, waren „Die Frau des Zeitreisenden“ von Audrey Niffenegger, „Kleine Lichter“ von Roger Willemsen und „Big Magic“ von Elizabeth Gilbert. Kennst du eines davon? Welches Buch hat dich mit seiner Magie voll getroffen? Schreibe es mir hier in die Kommentare!

Judith Wilms